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Otto Dix – Gemälde für Brot, Wein und Wärme

15.10.2016 – 03:42 Uhr

Erstmals öffentlich im elsässischen Colmar ist jetzt das Triptychon „Madonna vor Stacheldraht“ zu sehen. Gemalt hatte es der Kriegsgefangene Otto Dix vor 71 Jahren für die Kapelle des Lagers Logelbach bei Colmar.Doch dort war es nie aufgestellt worden.

 

So präsentiert die Ausstellung die Verbindungen Grünewald – Dix. Auf dem Kubus ist der Grünewaldaltar in Schwarz-Weiß abgebildet und alle Details, auf die sich Dix in seinem Werk bezieht, sind farbig markiert. Rings an den Wänden hängen die Dix-Originale. Foto: Angelika Bohn

Der Logelbach hinter Gitta Ho rauscht. Von ihm hat das Dorf, das längst ein Ortsteil von Colmar ist, seinen Namen. Im fünfstöckigen Fa-brikgebäude zwischen Bach und Straße haben sich kleine Firmen und Büros eingemietet. Links und rechts der Einfahrt erzählen alte Torhäuser mit Säulen von der Pracht der 1826 von den Brüdern Haussmann erbauten großen Spinnerei.

 

Der Stacheldraht, der das Gelände umgab, als Otto Dix hier interniert war, ist längst verschwunden. Aber den hinter der Fabrik kanalisierten Bach hat schon Dix rauschen hören. Das ist eine der wenigen Gewissheiten, mit der die promovierte Kunstwissenschaftlerin Gitta Ho am authentischen Ort aufwarten kann. Die junge Frau führt eine Gruppe deutscher Journalisten auf den Spuren von Otto Dix durch Colmar. Denn die große ambitionierte Ausstellung im Museum Unterlinden, die jetzt Otto Dix‘ tiefe Beziehung zu Matthias Grünewalds Isenheimer Altar untersucht, widmet sich auch den elf Monaten, die der 1891 in Gera-Untermhaus geborene Maler in Colmar Kriegsgefangener war.

 

Spurensuche in Colmar

Auf dem großen Parkplatz des ehemaligen Spinnereigeländes standen im Frühsommer 1945 Baracken. In einer hatte Dix zeitweise ein Atelier. Das legt eine der kleinen Zeichnungen nahe, die der Maler Peter Jakob Schober 1951 für Otto Dix zur Erinnerungen an die gemeinsame Gefangenschaft schuf. „Sonnabend vor unserem Atelier“ zeigt vier Männer auf einer Bank vor einer Baracke – die aus Otto Dix, Peter Jakob Schober, Lajos Cziráki und Otto Luick bestehende Malergruppe des Lagers. Auf einer weiteren Zeichnung ist ihr wohl erster großer Auftrag festgehalten: zwölf De Gaulle-Bilder. Sie sind verschollen, wie einiges mehr aus Dix‘ Colmarer Zeit. Zugleich hat ihm die Tatsache, ein berühmter Maler zu sein, vor 71 Jahren auch das Leben gerettet.

 

Das tägliche Grauen der Gefangenschaft

Otto Dix ist 53 Jahre, als er am 15. März 1945 zum Volkssturm einberufen wird, um im Schwarzwald für die verhassten Nazis den Siegeszug der Alliierten aufzuhalten. Er wird gefangen genommen und in das eilends in Logelbach errichtete Lager gebracht. Die Germanistin Erdmute Mouchet hatte bereits im Katalog der letzten großen Geraer Ausstellung „Otto Dix – Retrospektiv zum 120. Geburtstag“ eine eindrucksvolle Spurensuche in Colmar unternommen.

 

Mit Otto Dix sind in der für 2000 Arbeiter konzipierten Spinnerei zwischen 7000 und 10 000 Gefangene eingepfercht. Die Männer schlafen auf dem blanken Boden, Toiletten gibt es nur im Erdgeschoss. Sie hungern. Täglich sterben vier bis fünf Gefangene. Als einer beim Brotstehlen erwischt wird, muss er Spießruten laufen, bis er blutüberströmt zusammenbricht. Dix wird dieses Erlebnis später in einem Gemälde verarbeiten.

 

Zwölf Wochen schält der Maler Kartoffeln, dann muss er Minen räumen. Ein tödliches Kommando, doch er hat Glück. Mit Hilfe eines Bandes Propyläen-Kunstgeschichte erkennt der Lagerkommandant, dass sein Gefangener Otto Dix der berühmte Maler ist. Er ergreift die Gelegenheit und gibt eine Reihe Bilder bei Dix in Auftrag. Unter anderem soll er ein Triptychon für die im Dachboden der Spinnerei errichtete katholische Kapelle malen.

 

Ab Juni sucht der Kommandant nach Möglichkeiten, die Lage des tief deprimierten Künstlers zu verbessern. Dix und Schober werden in die Rue Charles Grad 23 zur Gartenarbeit abkommandiert. So lautet der Vorwand, unter dem Dix seine Arbeit am Triptychon im Atelier des Colmarer Malers Robert Gall fortsetzen kann. Gall hilft Dix, wo er kann, und wird ein enger Freund.

 

Das Triptychon verschwindet

Nach gut sechs Wochen sind die drei Tafeln für den Altar in der Gefangenenkapelle fertig. Doch das Triptychon verschwindet, bevor es dort aufgestellt wird. Dix muss eine weitere Maria mit Kind malen, die, so bezeugt es ein Linolschnitt des Gefangenen W. Schick, dann auch wirklich der Andacht dient.

 

Otto Dix hat, bedenkt man, dass er ein gefangener Feind ist, viele Privilegien. Er darf in Zivilkleidung in die Stadt, er kann den seit Jugendjahren verehrten Isenheimer Altar von Matthias Grünewald im Museum Unterlinden sehen. Robert Gall vermittelt die Bekanntschaft mit dem Schweizer Geschäftsmann Germain Dumoulin. Für diesen malt er mehrere Bilder und wird täglich mit feinem Essen und den besten Weinen aufgepäppelt. Launig schreibt Dix an Martha – er weiß, dass seine Frau hungert – er sei fett geworden. Doch aus den Briefen spricht auch die tiefe Sehnsucht, lieber bei den Seinen zu Hause sein. Er weiß nicht, ob sein Sohn Ursus noch lebt, ob sein Atelier in Dresden die Bombennacht überstanden hat. Und der Kriegsgefangene muss jeden Abend in das Elend des Lagers zurück.

 

Es wird Herbst und die Fabrik hat keine Heizung. Er übersteht eine Grippe und leidet an Nierenschmerzen. Wieder finden Robert Gall und der Lagerkommandant eine Lösung. Dixdarf das Lager verlassen und kommt – offiziell als Autolackierer – mitten in Colmar, Rue Vauban 43, beim Autofabrikanten Maurice Durr unter. Dort hat er ein Nachtquartier und völlige Arbeitsfreiheit, bis Otto Dix im Februar entlassen wird.

 

Das Lager Logelbach existiert bis zum Sommer 1946. Als es aufgelöst wird, befürchtet der Lagerpfarrer Pater Adalgar, auch Dix‘ zweite Madonna könnte einen profanen Liebhaber finden. Er lässt den Maler Hermann Berges eine Kopie anfertigen, die gegen das Original ausgetauscht wird. Um den Betrug zu vertuschen, werden die Fenster verdunkelt. Der Plan gelingt. Pater Adalgar verbringt die Dix-Madonna in die Erzabtei St. Martin Beuron, wo sie heute noch hängt.

 

Malen als Freundschaftsdienst

42 Jahre bleibt Dix‘ Triptychon „Madonna vor Stacheldraht“ für die Gefangenenkapelle verschwunden, bis es 1987 von der Galerie Lemperz zum Verkauf angeboten wird. Provenienz „Kommandant des Gefangenenlagers Colmar, Privatsammlung Colmar“. Der Berliner Senat kauft das Bild und gibt es als Dauerleihgabe der katholischen Pfarrkirche Maria Frieden in Berlin-Mariendorf.

 

Allein zwischen Juni und September 1945 malt Dix das Triptychon, die Madonna, mindestens acht Landschaften, mindestens sieben Porträts, ein Ecce Homo, ein Blumenstück. Später realisiert er dann weitere Aufträge. Zudem malt er auch, wenn er Mitgefangenen eine Freunde machen kann. So für Dr. Heussen, einen der Lagerärzte, auf ein Bettlaken „Die Heilung des Blinden (Christus als Arzt)“. Als Heussen im Februar 1946 das Lager verlässt, wickelt er sich das Bettlaken um den Bauch. 2010 übergibt es die Familie Heussen der Kunstsammlung Gera als Dauerleihgabe, die es nun wieder nach Colmar für die Ausstellung auslieh, wo es neben dem auch im Lager entstandenen „Bildnis eines Kriegsgefangenen“ hängt, der die Züge des ebenfalls in Colmar internierten Künstlerkollegen Otto Luick trägt. Das Bild gehört seit 1998 zur Dix-Sammlung des Museums Unterlinden.

 

Für die Schau „Otto Dix – Isenheimer Alter“ konnte Kuratorin Frédérique Goering-Hergottauch erstmals das für die Kapelle in Logelbach entstandene Triptychon als Leihgabe nach Colmar holen. Es zeigt vielleicht besonders deutlich den roten Faden, der Dix mit Grünewald verbindet.

 

Grünewald malt seinen Altar 1515 für das Antoniterkloster in Isenheim, wo die am Antoniusfeuer Erkrankten gepflegt werden. Die im Mittelalter weit verbreitete Krankheit entsteht durch den Verzehr von mit dem hochgiftigen Mutterkornpilz verseuchtem Getreide. Darmkrämpfe, Halluzinationen, Durchblutungsstörungen, das Absterben von Fingern und Zehen sind die Folgen. Grünewalds Auftragswerk soll den hoffnungslos Erkrankten Trost spenden.

 

Um Trost geht es auch Dix in seinem einzigen, für einen religiösen Ort geschaffenen Triptychon. Er greift Grünewalds Ikonografie und Malweise auf, setzt aber die Gottesmutter vor die unmittelbare Gegenwart des Gefangenenlagers. Hinter ihr und dem Christuskind sind die Vogesen und der Logelbacher Kirchturm erkennbar. Paulus auf dem linken Seitenflügel trägt Handschellen und sitzt vor einer Schar Gefangener, unter denen Dix selbst und seine Malerkollegen erkennbar sind. Der gefangene Petrus rechts wird von einem Engel befreit, wie auch der Gefangene Otto Dix in Logelbach seine Freiheit herbeisehnt.

 

Die Ausstellung „Otto Dix – Isenheimer Altar“ zum 125. Geburtstag des Malers und zum 500-jährigen Bestehen des Isenheimer Altars im Museum Unterlinden in Colmar wird bis 30. Januar 2017 gezeigt. Geöffnet ist sie Montag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag von 10 bis 20 Uhr, Dienstag bleibt sie geschlossen.

 

Angelika Bohn / 15.10.16 / OTZ

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Bis 30.1.2017: Otto Dix – Gemälde für Brot, Wein und Wärme